Der Sommer ist jetzt wirklich um und ich habe es vergangene Woche noch geschafft, meine Füße im Schwarzen Meer zu baden. In Odessa ist so viel Neues entstanden. Die Leute haben nach den Demonstrationen im November einfach angefangen zu bauen und zu renovieren. Sie sind voller Tatendrang und Optimismus für ein freieres Leben. Odessa ist eben eine rege Geschäftsstadt. Ja, ich habe einige neue Cafés und Geschäfte entdeckt es sehr genossen, bei angenehm warmen Temperaturen durch die Straßen zu schlendern und ein paar Tage dort zu verbringen.
Jetzt bin ich wieder in Charkiw und habe es nach fünf Monaten, in denen ich hier lebe, erstmals geschafft, die Deutsch-Evangelisch-Lutherische Kirche zu besuchen. Sie liegt weit weg vom Zentrum. Ich habe etwa eine Stunde gebraucht, um mit der Metro und zu Fuß hinzukommen. Es handelt sich um ein einfaches Haus. Noch vor über zwanzig Jahren befand sich ein Laden dort. Ira aus der Gemeinde hat mir erklärt wo früher die Tiere geschlachtet wurden und das Blut floss. Man hat mich nach dem Gottesdienst gleich zum Kirchencafé eingeladen.
Neben dem Altar hängt ein Bild von der Kirche, wie sie früher in der zentral gelegenen Gogolstraße stand. Heute steht dort ein Wohnhaus. Und nicht weit davon verläuft die Straße, die früher Straße der Deutschen war, in der viele Handwerker aus Deutschland angesiedelt waren. Heute heißt sie Puschkinstraße, nach dem berühmten russischen Dichter benannt. Immer wieder kommen Taxifahrer, mit denen ich mich unterhalte, auf die Deutschen in Charkiw zu sprechen. Und dann ist da noch der deutsche Unternehmer namens Trempel. Er hat unter anderem Kleiderbügel hergestellt und seitdem werden diese nur in Charkiw Trempel genannt.
Die Stadt ist sehr schön. Sie hat viele große Plätze, Parks. Jede Menge Studenten sind seit Ende August wieder angekommen. Ich genieße es hier zu sein, auch wenn der Anlass eher ein trauriger ist. Als ich neben der Metro Salat, eingelegte Paprika und andere kleine Köstlichkeiten gekauft habe, bin ich mit der alten Frau ins Gespräch gekommen. „Die Menschen sorgen sich“, sagt sie. „Ich bete jeden Tag, dass wir Frieden haben.“ Ja, ich auch.
Vergangenen Sonntag wurde in Charkiw die große Statue von Lenin von ihrem Podest geholt. Auch in einigen anderen Städten des Charkiw Oblast wurde er weggeräumt. Die einen sind froh darüber, dass endlich das Zeichen des Totalitarismus weg sei. Schließlich habe Lenin in den dreißiger Jahren die Glocken aus den Kirchen entfernen lassen, sagt ein Taxifahrer. Andere wieder sind ärgerlich, weil sie das Denkmal als ein Zeugnis der Geschichte ansehen. Mittlerweile wurde ein Kreuz auf das Podest montiert neben dem die blau-gelbe ukrainische Flagge flattert.